Millet wurde 1814 in Gruchy, an der normannischen Küste, geboren. Er entstammt einem alteingesessenen Bauerngeschlecht. Nach mehrjährigem Aufenthalt in Paris kehrte er auf das Land zurück, wo er sich in der Künstlerkolonnie von Barbizon niederläßt; er stirbt dort 1875.
Ist Courbets Realismus an gesellschaftlichen Kategorien wie "Klasse", "Proletariat", "Sozialismus", "Demokratie" orientiert, so wendet sich der Realismus Millets der Beziehung des arbeitenden Menschen zur Natur zu. Er verwendet dort statt soziologischer anthropologische Kategorien der Arbeit und zwar der Landarbeit als derjenigen, bei der der Naturbezug besonders deutlich zutage tritt. Van Gogh zählte zu den großen Verehrern Millets und hat zahlreiche eigene Bildern nach Werken von Millet geschaffen.
Das Bild "Der Mann mit der Hacke" wurde in den Jahren 1860-62 für den Salon 1863 gemalt. Es hatte geradezu biblisches Ausdrucksformat; der Fluch, den steinigen, harten Boden zu hacken lastet seit Adam auf dem Menschen. Wie aus der Erde emporgewachsen, durch sie körperlich in Wuchs und Erschöpfungszustand bestimmt, durchtrennt die Figur des Landarbeiters die horizontale Bildgliederung von Himmel und Erde. Millets naturaler Materialismus führt nicht zu idealisierten Bauerngestalten, wie es sie in Unzahl vor und nach ihm in der Kunstgeschichte gibt, sondern zur Deutung des arbeitenden Menschen als ein Teil der Natur. Die damit verbundene Vernachlässigung der gesellschaftlichen Formbestimmtheit menschlicher Arbeit läßt ihn gerade nicht - wie von zeitgenössischen Gegnern behauptet - als "Sozialisten" titulieren, sondern eher als einen konservativ-fatalistischen Philosophen der Arbeit.
Gustave Courbet wurde 1819 in Ornans, Frankreich, geboren, er starb 1877 in der Schweiz, in die er wegen politischer Verfolgung geflohen war. Sein Kunstschaffen und seine politische Aktivität werden markiert und orientiert durch die beiden Revolutionen von 1848 und 1871 (Pariser Kommune). 1848 war er erstmals politisch auf der Seite der Sozialisten tätig. 1871 wird er zum Delegierten für die Schönen Künste der Pariser Kommune ernannt; nach Niederschlagung der Kommune ist für ihn in Frankreich keine Existenzmöglichkeit mehr gegeben.
Sein Bild "Die Steinklopfer" entsteht 1849. Für uns heute wirkt es wenig aufregend, für die europäische Kunstwelt und Politik in der Mitte des letzten Jahrhunderts war es dagegen Objekt heftigster Diskussionen, griff dieses großformatige Bild doch die herrschende Kunst- und Gesellschaftsauffassung zugleich an! "Realismus" - das war keine kunstimmanente Angelegenheit, sondern ein demokratisch-politisches Programm, die Kunst auf den Boden der wirklichen Gesellschaftsverhältnisse zu stellen. Unerhört (besser: ungesehen!) war es, zwei Arbeiter in Lebensgröße in Öl zu malen, weder heroisierend noch bürgerliches Mitleid erheischend, sondern von allem Unnötigen abstrahierend, nüchtern, unpathetisch, auf jedes unterhaltende Element der Genremalerei verzichtend. Courbet hatte zwei Arbeiter Steine für den
Straßenbau zerklopfen gesehen; dies beeindruckte
ihn so sehr, dass er sie in sein Atelier
einlud und 1849 sein Werk fertigstellte. Sie galten
ihm als »vollkommener Ausdruck des
Elends«, der alte Steinklopfer gar als »alte Maschine«. Nur ein winziges Stück blauen Himmels,
rechts oben, gestattet er als Symbol einer
Spur von Hoffnung. Vielfach ist dieses Werk
besprochen worden, zu Lebzeiten Courbets
hat es bereits scharfe Ablehnung genauso wie lebhafte
Zustimmung erfahren. Es handelt sich
wohl um das erste sozial-realistische Großgemälde
von Arbeitern überhaupt, um die erste
gemalte Ausdrucksform von Proletarität. In
dieser Weise waren Lage und Arbeit des Vierten
Standes bislang nicht bildwürdig gewesen.
Das Bild steht im Kontext der politischen
Kämpfe in Frankreich, insbesondere der Sozialisten.
So lobt auch der Bewunderer und
Zeitgenosse Courbets, Pierre-Joseph Proudhon,
die Steinklopfer:
"Courbet wird angeklagt, mit seinem Realismus
das Ideal zu vernichten; in Wahrheit hat es nie
ein Maler stärker zur Geltung gebracht [...] Die
Steinklopfer ironisieren unsere Industriekultur,
die jeden Tag wundervolle Maschinen erfindet
[...] Wer aber ist der Diener der Maschinen?
Der Mensch. Der Mensch als Knecht – das
ist das letzte Wort der Industrialisierung von
heute." (Proudhon, P.J.: Von den Grundlagen und der sozialen Bestimmung der Kunst. Berlin 1988, S. 206 f.)
Ford Madox Brown: Work, Öl/Lw, 138,6 x 196 cm, 1852/65
Das Paradebeispiel für sozialkritische bis sozialistische Bildwerke im Viktorianischen England ist das berühmte Gemälde "Work" von Ford Madox Brown. Es wurde 1852 begonnen, immer wieder unterbrochen und erst 1865 fertiggestellt. Es ist in der Pathosform mit Rundbogen gestaltet. Es handelt sich um eine Real-Allegorie auf die englische Gesellschaft. Es ist von einem arbeitspathetischen, romantisierenden Sozialismus getragen, wie er auch in dem Werk von Thomas Carlyle: "Past and Present" zum Ausdruck kommt. Im Holzrahmen des Bildes befinden sich biblische Inschriften: Links: "Haben auch nicht umsonst das Brot genommen von jemand, sondern mit Arbeit und Mühe Tag und Nacht haben wir gewirkt" (2. Thessiner 3,8) Rechts: "Siehest du einen Mann behend in seinem Geschäft, der wird vor den Königen stehend" (Sprüche 22,29) Mitte: "Ich muß wirken ... solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann" (Johannes 9,4) Unten: "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen" (1. Mose 3,19). Dieses Bild ist in der Gesamtkomposition so aufgebaut, dass es die arbeitende Klasse ins Zentrum rückt, rechts unten ausgegrenzt die Arbeitslosen im Graben, links und hinten die arbeitsfreie Klasse, ganz im Vordergrund die noch nicht arbeitenden armen Kinder. Arbeit wird als körperliche Arbeit aber auch als Geistesarbeit aufgefasst, zwei Geistesarbeiter: Thomas Carlyle und der sozialistisch orientierte Priester Frederick Denison Maurice stehen rechts. Von Brown selbst stammt eine so schöne und aufschlußreiche Beschreibung seines Werkes (>hier zu lesen).
"Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit ein Bild von Hübner, einem der besten deutschen Maler, erwähnen, das wirksamer für den Sozialismus agitiert hat als 100 Flugschriften. Es zeigt einige schlesische Weber, die einem Fabrikanten gewebtes Leinen bringen, und stellt sehr eindrucksvoll dem kaltherzigen Reichtum auf der einen Seite die verzweifelte Armut auf der anderen gegenüber. Der gut genährte Fabrikant wird mit einem Gesicht, rot und gefühllos wie Erz, dargestellt, wie er ein Stück Leinen, das einer Frau gehört, zurückweist; die Frau, die keine Möglichkeit sieht, den Stoff zu verkaufen, sinkt in sich zusammen und wird ohnmächtig, umgeben von ihren zwei kleinen Kindern und kaum aufrecht gehalten von einem alten Mann; ein Angestellter prüft ein Stück, auf das sein Eigentümer in schmerzlicher Besorgnis auf das Ergebnis wartet; ein junger Mann zeigt seiner verzagten Mutter den kärglichen Lohn, den er für seine Arbeit bekommen hat; ein alter Mann, ein Mädchen und ein Knabe sitzen auf einer Steinbank und warten, daß sie an die Reihe kommen; und zwei Männer, jeder mit einem Packen zurückgewiesenen Stoffes auf dem Rücken, verlassen gerade den Raum, einer von ihnen ballt voll Wut die Faust, während der andere die Hand auf des Nachbarn Arm legt und zum Himmel zeigt, als ob er sagt: Sei ruhig, es gibt einen Richter, der ihn strafen wird. Diese ganze Szene spielt sich in einem kalt und ungemütlich aussehenden Vorsaal mit Steinfußboden ab; nur der Fabrikant steht auf einem Stück Teppich, während sich auf der anderen Seite des Gemäldes, hinter einer Barriere ein Ausblick in ein luxuriös eingerichtetes Kontor mit herrlichen Gardinen und Spiegeln öffnet, wo einige Angestellte schreiben, unberührt von dem was hinter ihnen vorgeht, und wo der Sohn des Fabrikanten, ein junger Geck, sich auf die Barriere lehnt, eine Reitgerte in der Hand, eine Zigarre raucht und die unglücklichen Weber kühl betrachtet. Dieses Gemälde ist in mehreren Städten Deutschlands ausgestellt worden und hat verständlicherweise so manches Gemüt für soziale Ideen empfänglich gemacht."
"Im Verlaufe der revolutionären Ereignisse des Jahres hatte das Proletariat seine Bindung an die demokratische Partei gelöst, nun begann es mit eigenen Forderungen aufzutreten, organisiert und geleitet vom Volksclub an dessen Spitze Julius Wulff, Lassalle und Freiligrath standen. Seit dem Tage, an dem Freiligrath zusammen mit Wulff wegen seines Gedichtes ‚Die Toten an die Lebenden‘ vor dem Düsseldorfer Schwurgericht stand und freigesprochen werden mußte, seit jenem 4. Okt. 1848 war die Arbeiterklasse in Düsseldorf immer mehr in Erscheinung getreten. Am 8. Okt. organisierte der Volksclub eine große Demonstration unter der roten Fahne. An der Kundgebung, die in Gerresheim stattfand, beteiligten sich über 5000 Menschen. Schon am darauffolgenden Tage zogen die Arbeiter vor das Rathaus, drangen in den Sitzungssaal und forderten in ungestümer Weise, beschäftigt zu werden. Der Gemeinderat konnte ihnen nichts weiter sagen, als daß die Mittel erschöpft seien". (Hütt, Wolfgang: Die Düsseldorfer Malerschule 1819 - 1869. Leipzig 1964, S. 216)
Historisch erstmalig wird hier ein Konfrontationsbild der neuen Klassen gemalt – im architektonischen Kontext der alten Gesellschaft. Für den angesichts des vor dem Hause tobenden Aufstandes und des selbstbewussten Auftretens der Deputierten furchtsam schwitzenden Stadtrat hat Hasenclever nur Ironie übrig.
Quelle: Hofmann, W.(Hrsg.): Eva und die Zukunft. Ausstellungskatalog, München 1986, S. 394 f.
Der vom Künstler genannte »Dirigent« befindet sich – mit Anzug und Hut bekleidet – ganz hinten im Bild. Er ist das einzige Bildelement, das auf die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse verweist. Wenn man den Fluchtpunkt der Perspektivkonstruktion des Bildes rekonstruiert, stellt man fest, dass er sich gerade in Augenhöhe des Dirigenten befindet – er hat sozusagen, äußerlich nicht sichtbar, die Zügel in der Hand. Sonst deutet nichts auf eine gesellschaftsbezogene Dimension dieses Gemäldes hin, obgleich zur selben Zeit, da Menzel in Könighütte arbeitete, die dortigen Arbeiteraufstände insgesamt 10 Jahre lang mit brutaler Waffengewalt nieder gehalten wurden. Wie kein anderes hat dieses Werk die nachfolgende Bildgeschichte geprägt, wie kein anderes wird es gleichsam als Ikone der Industriemalerei behandelt.
BILDER DER ARBEIT |
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farbig umrandete Bilder
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1830...............................................................................................................................................1875
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Wandlungen in der Darstellung landwirtschaftlicher Arbeit
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erstmalige großformatige Darstellungen des Arbeiters |
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![]() Waldmüller, F.G.: Die Ernte, 1846 |
![]() Courbet, G.: Die Steinklopfer, 1849 |
![]() Millet, J.-F.: Der Mann mit der Hacke 1861/62 |
![]() Brown, F.M.: Work, 1852/65 |
![]() Caillebotte, G.: Die Parketthobler, 1876 |
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Arbeiterschaft als soziale Klasse |
Genderisierung der Arbeit | ||||||||||||
![]() Daumier, H.: Pressefreiheit - rührt nicht dran!, 1834 |
![]() Hübner, K.W.: Die schlesischen Weber, 1844 |
![]() Hasenclever, J.P.: Arbeiter vor dem Magistrat, 1848/49 |
![]() ![]() Thoma, H.: Nähendes Mädchen, 1850; Degas, E.: Die Büglerin, 1869 |
![]() Liebermann, M.: Die Gänserupferinnen, 1871/72 |
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Das Industriegemälde bildet sich als eigenes Genre aus |
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![]() Rethel, A.: Harkortsche Fabrik, 1832 |
![]() Achenbach, A.: Neusser Hütte, 1860 |
![]() Bonhommé, F.: Schmieden einer Schiffskurbelwelle, 1865 |
![]() Meyerheim, F.: Borsig- Zyklus, 1870/76 |
![]() Menzel, A.v.: Das Eisen- walzwerk, 1872/75 |
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In den bewegten 1830er Jahren bis ca. 1876 vollzieht sich für das Arbeitsbild der Moderne der entscheidende Durchbruch. Bleibt die Landwirtschaft zunächst noch beliebtes Thema bürgerlich-biedermeierlicher Fantasie, so setzt Millet diesem einheitlichen Bildregime 1848 erste Bilder entgegen, die die Landarbeiter als reale Arbeitspersonen beschreiben. Erste Porträts von Industriellen markieren neue Herrschaftsansprüche. Im Landschaftsbild nähern sich die Künstler zunehmend der industriellen Anlage, bis schließlich erste Industrieporträts entstehen. Der rauchende Schornstein wird nun zum Symbol für industrielle Produktivität und Macht. Darstellungen industrieller Arbeitsprozesse mehren sich; es vollzieht sich ein langsamer Wandel vom visuellen Impressionismus hin zur visuellen Analyse der Kombination von Raum, Maschinerie und Arbeitskraft bis hin zu Menzel. Zudem thematisieren einige Künstler erstmals die Lage der Arbeiter. Daumiers berühmte Lithografie definiert ein ikonisches Muster, das Jahrzehnte hindurch Verwendung finden wird. Hübner wagt in einem für die Zeit einzigartigen Gemälde eine Anklage der ausbeuterischen Kapitalisten und Hasenclever produziert mit seiner Darstellung aufständischer Arbeiter vor dem Düsseldorfer Magistrat ebenfalls eine Innovation. Diese neuen Inhalte, Formen und Paradigmen lösen die bislang dominierenden allerdings nicht ab; vielmehr drückt sich von nun an auch in den Bildproduktionen die Widersprüchlichkeit der neuen Gesellschaftsformation aus; an Konflikten und Kämpfen beteiligen sich auch Künstler. Millets und Courbets Bilder lösen Skandale und Proteste aus, Brown stellt als erster den proletarischen Bauarbeiter in das Zentrum der Gesellschaft. Achenbach erstellt für Deutschland das erste »industrieökologische« Ölgemälde, dem werden auf der anderen Seite erstmals die Industrie verherrlichende Allegorien entgegengestellt. Das erste Großgemälde metallindustrieller Arbeit entsteht in Frankreich durch Bonhommé; der apotheotische Borsigzyklus Meyerheims und Menzels differenziertes Eisenwalzwerk bilden Abschluss und Höhepunkt dieser Epoche. Die Neupositionierung der Frau in der bürgerlichkapitalistischen Gesellschaft wird zu einem umkämpften Terrain. Werden die bürgerlichen Maler nicht müde, die Frau in den Bereich der »Stillen Arbeit« (wie Bildtitel nun lauten) in unzähligen Werken zu verweisen (vgl. das Bild von Thoma), so stellt der neue Sozialrealismus (z.B. von Daumier, Liebermann, Degas, Bonvin) die harte und gesellschaftlich gering bewertete Arbeit in das Zentrum. | |||||||||||||